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Herbst auf dem Friedhof, da herrscht geschäftiges Treiben der Lebenden wie vor einer Reise oder kollektivem Schlafengehen. Die Bäume machen sich glatt und kahl für das heraufziehende Dunkel und regnen bunte Blättermassen auf Wege und Gräber.

Es ist die Zeit der Fülle, an Farben und Früchten, an Wind und Regen, und die Zeit der Vorsorge in Erwartung des kalten Schlafs. An seinem Ende ruhen die Toten, Frühlingswaisen, nah und fern unserem noch herbstlich geschäftigen Herzschlag.




 

Nachfolgender Text, eine Entdeckung aus der Reihe „Frankfurt liest ein Buch“, spielt Mitte der siebziger Jahre und, dies Geständnis vorweg, nicht im Herbst, sondern im Frühjahr, um Ostern herum. Am Ende von Eva Demskis Roman „Scheintod“ wird aber ein so bunter Hund auf dem Hauptfriedhof beigesetzt, dass eine leichte Verwirrung der normalen Reihenfolge der Jahreszeiten ganz gut dazu passt.

Ein junger Anwalt ist an einem Asthmaanfall gestorben. Er war verheiratet mit der Frau, aus deren Perspektive der Roman aufgezeichnet ist, aber Liebhaber junger Männer, er war ein Revolutionär mit Kontakten zur RAF, aber undogmatischer Anarchist und erotischer Bonvivant.

Unprätentiös und genau beschreibt die Autorin die Zersplitterung der Trauergesellschaft in vier Fraktionen. Da steht die katholische Verwandtschaft, die den Mann noch als braven Bub in Erinnerung hat, neben der motorradbewaffneten Rockergruppe, die von ihm mit Faible für gesellschaftliche Randgruppen juristisch betreut wurde. Des Weiteren sind da seine jungflippigen indienbewegten Fans mitsamt seinem letzten Geliebten, die die kapitalistische Repression mit Joints und freier Liebe bekämpfen, sowie schließlich seine eigentlichen Freunde und Kollegen, ein linkes Panoptikum, das bei allen theologischen Streitfragen eine solidarische Gemeinschaft bildet.

Am offenen Grab kommt es noch zu einer kleinen Konfrontation der Witwe mit dem Jugendfreund Deutner. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass der eigentliche Tod schon die Lebenden ereilt, die Menschen in Schubladen und Ringbüchern sauber geordnet abheften. Die Fotos vom herbstlichen Frankfurter Hauptfriedhof stammen natürlich wiederum von Joachim Schmidt.




 

Eva Demski, Scheintod. Roman. © Insel Verlag Berlin 2014

Da war zunächst eine mattschwarze Gruppe, in deren Mitte sie ihre Schwiegereltern stehen sah. Das waren die Verwandten, ihr fremder als alle anderen. Der Mann hatte ihr seine Verwandtschaft nie vorgestellt. …

In ordentlicher Reihe standen ein Dutzend schwerer Motorräder am Friedhofseingang, neben jeder Maschine einer von damals. Die Rocker waren gekommen, um Lebewohl zu sagen. Blutwurst und Mike und die anderen waren leicht wiederzuerkennen, obwohl sie in den Jahren, die sie sie nicht gesehen hatte, sehr dick geworden waren. …

Die dritte Gruppe war bunt. In ihrer Mitte stand der Junge, als einziger in Schwarz. Um ihn herum bewegten sich seine Freundinnen und Freunde wie Blumen. Indische Kleider in Rot und Blau und Weiß. Das ist auch Trauer, dachte sie. …

In der vierten Gruppe standen um Paul den Großen versammelt die Freunde und Kollegen. Das war eine dunkle, gedeckte Gruppe, man hatte Manieren, wollte es aber nicht übertreiben. Dunkelblau und braun, grau und gestreift erwiesen sie einem der ihren die letzte Ehre.

Sie tragen vier verschiedene Tote zu Grabe, flüsterte sie in das beharrliche Schweigen, das ihr diesen Tag so schwer machte. Welcher bist du?




 

Das ist ein unwürdiges Theater, sagte Deutner. Es beleidigt einen gläubigen Menschen. Wie hast du das zulassen können, das …

Das Pack? fragte die Frau wütend. Hast du das sagen wollen? Deutner schwieg.

Es sind seine Freunde! Es waren seine Freunde mehr als du, bis zum Schluss. Es sind Leute dabei, denen hat er geholfen. Und andere, die haben ihm geholfen! Woher nimmst du den Hochmut?

Schau seine wirklichen Verwandten an! flüsterte Deutner mit immer größerem Zorn, wie sollen seine Eltern das überleben? Den letzten Eindruck? Und seine Tanten. Die Leute, die ihn wirklich geliebt haben?

Du kleiner Pharisäer, sagte die Frau. Ihn? Ihn haben sie überhaupt nicht gekannt. Er hatte sich unsichtbar gemacht für sie. Für euch soll man wahrscheinlich noch ins Grab hinein lügen!




Fotos: J. Schmidt ©


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