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Schnee liegt auf dem Friedhof, die bunten Triggerfarben weichen der Kälte und der Nässe und sind vergessen in friedlichem Weiß und Grau. Was die Toten sind, wird jetzt, im Winter, überdeutlich, aber wer waren sie?

Die Mutter, die im Winter starb, war doch eben noch da; sie war alt, aber doch altlebendig, sie war gebrechlich, aber gebrechlichlebendig, sie starb schon tausend Tode, war aber doch lebendig. Sie hatte also doch recht behalten mit ihrer leisen Endzeitpanik, mit ihrer rücksichtslosen Betriebsamkeit unter dem Druck des verrinnenden Lebens.

Sie war ja doch nicht unsterblich! Wir träumten, und sie hat gelebt! Winter auf dem Friedhof: Die Zeit selbst scheint zu schlafen, aber das täuscht. Die Stille ist ein Fanal.





Unser kleiner literarischer Reigen endet, abgemischt abermals mit den Foto-Impressionen von Joachim Schmidt, mit einer der berühmtesten Friedhofs-Winter-Szenen, dem Schluss der finalen Erzählung „Die Toten“ aus dem Frühwerk „Dubliner“ von James Joyce. „Schon wieder Joyce“, höre ich die geneigte Leserin aufstöhnen, das ist doch Lesestoff für Professoren und andere verschrobene Nerds, die auch Zeit dafür haben, Sanskrit oder ägyptische Hieroglyphen zu entziffern. Aber in diesem kurzen Abschieds- und Aufbruchsgesang, im kleinen Tod des Einschlafens und im Gedenken an den großen Tod der Verstorbenen, der auch die Lebenden zerreißt, erklingt das, was auch in den Adagios einer Mahler- oder Bruckner-Sinfonie in Wundertöne gesetzt ist, die ganz unmetaphysische Gewissheit, dass Sterben und Tod eben nicht das letzte Wort haben.

Der Schriftsteller Gabriel Conroy besucht mit seiner Frau Gretta vor einer längeren Auslandsreise das weihnachtliche Festessen seiner beiden alten Tanten. Ort des Geschehens ist natürlich Dublin, vor dem ersten Weltkrieg. Zu den Gästen gehört auch ein Tenor, der am Schluss noch ein Lied singt, das Gretta stark bewegt. Sie erzählt ihrem Mann im Hotel, dass ihr Jugendfreund Michael Furey dieses Lied für sie gesungen hat, bevor er später mit siebzehn an Tuberkulose starb. Er sei ihretwegen gestorben, nachdem er, von Krankheit gezeichnet, noch einmal in winterkalter Nacht zu ihrem Gartentor gekommen sei. Sie schläft ein und Gabriel, der sich der Liebe zu ihr und seiner Eifersucht bewusst wird, sinniert im Einschlafen desillusioniert über Abschied, Tod und Neubeginn.

 





A few light taps upon the pane made him turn to the window. It had begun to snow again. He watched sleepily the flakes, silver and dark, falling obliquely against the lamplight. The time had come for him to set out on his journey westward. Yes, the newspapers were right: snow was general all over Ireland. It was falling on every part of the dark central plain, on the treeless hills, falling softly upon the Bog of Allen and, farther westward, softly falling into the dark mutinous Shannon waves.

It was falling, too, upon every part of the lonely churchyard on the hill where Michael Furey lay buried. It lay thickly drifted on the crooked crosses and headstones, on the spears of the little gate, on the barren thorns. His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead.





Es pochte ein paarmal leise an die Scheibe, und er wandte sich zum Fenster um. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Er beobachtete schläfrig die Flocken, silbern und dunkel, die schräg zum Lampenlicht fielen. Die Zeit war für ihn gekommen, seine Reise gen Westen anzutreten. Ja, die Zeitungen hatten recht: Schneefall in ganz Irland. Schnee fiel überall auf die dunkle Zentralebene, auf die baumlosen Hügel, fiel sacht auf den Bog of Allen, und, weiter gen Westen, fiel er sacht in die dunklen aufrührerischen Wellen des Shannon.

Er fiel auch überall auf den einsamen Friedhof oben auf dem Hügel, wo Michael Furey begraben lag. Er lag in dichten Wehen auf den krummen Kreuzen und Grabsteinen, auf den Speeren des kleinen Tors, auf den welken Dornen. Langsam schwand seine Seele, während er den Schnee still durch das All fallen hörte, und still fiel er, der Herabkunft ihrer letzten Stunde gleich, auf alle Lebenden und Toten.






Fotos: J. Schmidt, 2010 ©


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